Eine Hochsitz-Minute, die alles erklärt

Die Abendsonne färbt das Holz unter uns kupferrot. Dicht an meiner Seite, die Schnauze auf den alten Bohlen abgelegt, liegt mein Bayerischer Gebirgsschweißhund. Sein Atem geht ruhig – nur die Nase zittert im lauwinden Luftzug, der Rehwild und Waldboden zu uns hinaufträgt. Zehn Jahre spüre ich in der Wärme seines Rückens, der meinen Oberschenkel berührt. Zehn Jahre, in denen er lernte: Unser Hochsitz ist ein heiliger Ort.

Seine Ohren sind nach vorn gespitzt, ohne Laut, ohne jenes tiefe Knurren der Anspannung. Nur das feine Vibrieren unter seinem graumelierten Fell verrät mir: Er hat das Schmalreh im Unterholz registriert. Meine Hand ruht auf seinem Nacken – ich fühle, wie er jeden Herzschlag des verborgenen Wildes durch die Erde in die Holzplanken übersetzt. „Da, Herr. Leise. Fragil.“

Dann öffne ich die Hand.
Ein Hauch von Entspannung, kaum mehr als ein Atemzug.

Sein Kopf dreht sich ohne Hast zu mir. Kein Blick ins Dickicht hinab – nur diese vertraute, schweigende Frage in seinen bernsteinfarbenen Augen: „Du lässt es leben?“

Ich senke das Kinn um einen Fingerbreit. „Ja, mein Alter. Heute schenken wir ihm den Abend.“
Und er versteht. Sofort sinkt sein Kopf zurück auf die Pfoten. Ein leichtes Seufzen, das im Holz widerhallt. Seine Arbeit war getan, als er mir den Wind und das Wild meldete. Ob mein Finger den Abzug sucht oder nicht – das ist meine waidmännische Verantwortung, und er ehrt sie, als wäre es sein Gesetz.

BGS bayerischer Gebirgsschweisshund auf dem Hochsitz

In dieser Nähe – sein Fell an meiner Jagdhose, sein Vertrauen in meinen Atemrhythmus – begreife ich:
Sein Stolz braucht keinen Schuss.
Ihm genügt das Hier: Das Knarren unseres Hochsitzes, der harzige Duft der Fichten, das Zwitschern der späten Drossel. Sein Respekt vor meinem Urteil ist tiefer als der Instinkt zu jagen.

Manchmal ist die stillste Form der Jagd die größte: Wenn Mensch und Hund Schulter an Schulter wissen: Wir nehmen nicht, um zu besitzen. Wir schauen, um zu begreifen.

Und in der Dämmerung flüstert sein Seufzen:
„Wir sind nicht Herrchen und Hund – wir sind Wächter dieser Stille.“

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